Werkluftschutzstollen Hirth und Sümak in Stuttgart

Werkluftschutzstollen Atemlos

Achtung! Dieses Warnschild ist KEIN Scherz, hier herrscht akute Gefahr für Leib und Leben. Ein Betreten ohne Gasmessgeräte kann schwerwiegende Folgen haben. Die CO2 Werte schwanken stark. Bei all meinen Besuchen konnte ich Werte von 0,5 % bis 3,1 % messen, was die Anlage unberechenbar macht. In Unterlagen aus dem Jahr 1983 sind ein CO2 Wert von 3–4 % und ein Sauerstoffgehalt von 14 % vermerkt. Es sei angemerkt, dass ein Sauerstoffgehalt von 20,9 % normal ist. Unter 18 % nimmt unsere körperliche und geistige Leistungsfähigkeit zunehmend ab. Bei ca. 10 % werden wir ohne Vorwarnung bewusstlos.

Inhaltsverzeichnis

Allgemeines zum Werkluftschutzstollen

Der Luftschutzstollen wurde von den Firmen Hirth AG, SÜMAK und Zaiser unterhalten und als Werkluftschutzstollen erbaut und genutzt. Die Auffahrung der Stollenanlage wurde vermutlich zum Großteil von Zwangsarbeitern aus dem Lager Schlotwiese geleistet. Sicher ausgeführt wurden zwei lange Stichstollen, die als Zugangsstollen dienten. Beide endeten in der ersten Quergalerie, in welcher die Schutzsuchenden bei Bombenangriffen unterkamen.

Der tatsächliche Stollenausbau weicht stark vom vorgesehenen Bauplan ab. Geplant waren drei Quergalerien in Betonausbau für die Mitarbeiter der Firmen Hirth AG, SÜMAK und Zaiser sowie eine weitere Quergalerie in Holzausbau für die Zivilbevölkerung. Vier Zugänge sollten ein schnelles und reibungsloses Befüllen der Schutzräume gewährleisten.

Tatsächlich konnten nachweislich die zwei langen Zugangsstollen und die erste Quergalerie angelegt werden. So gut wie alle Kreuzungen, an denen weitere Stollenbereiche in der ersten Quergalerie anschließen sollten, wurden nur vorbereitet. Diese Tatsache bestätigt das anstehende Gestein. Anders ist dies nur an einer Stelle im Stollensystem. Dort befindet sich hinter einer 36 cm starken Ziegelmauer feucht sandiges Verfüllmaterial. Im folgenden Grundriss habe ich Anschlussstellen mit anstehendem Gestein rot und die verfüllte Stelle mit grün markiert. Zwei weitere schwarz markierte Stellen konnten nicht sicher zugeordnet werden. Die schwarze Markierung im Schleusenbereich ist stark verbrochen und die andere massiv abgemauert.

 

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Mit der derzeitigen Faktenlage ist nicht davon auszugehen, dass noch weitere, große Strecken existierten. Vielmehr würde ich davon ausgehen, dass an der verfüllten Stelle lediglich der westliche Zugang im Park umgesetzt wurde. Dies ist aber eher spekulativ zu betrachten.

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Ausbauform

Das bröselige und blättrige Gestein des Lettenkeupers machte einen sofortigen Ausbau und eine Sicherung des Stollens unerlässlich. Dazu kam noch die teils geringe Überdeckung der Zugangsstollen. Wir können davon ausgehen, dass nur wenige Meter Stollen vorgetrieben wurden und sofort im Anschluss der Ausbau erfolgte.

Die Stollensicherung wurde im unteren Bereich mit 5–6 Reihen Betonsteinen umgesetzt, welche als Fundament für die Stelen dienten. Die leicht gebogenen Fertigbetonteile standen auf den Betonsteinfundamenten und lehnten am oberen Ende aneinander. Das so gebildete Spitztonnengewölbe nimmt den Firstendruck auf und leitet ihn zu den Seiten ab. Das Kreuzgewölbe an den Kreuzungen wurde geschalt und in Beton gegossen.

[Spitztonnengewölbe]
[Kreuzgewölbe]

Der Stollen im Detail

Die nachfolgenden Grundrisse und 3D Scans zeigen den heutigen Istzustand des Werkluftschutzstollens und den geplanten Ausbau. Dabei wird schnell klar, dass nur ein kleiner Teil ausgeführt werden konnte.

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Bauzeit

Die Bauzeit lässt sich auf etwa Mitte 1944 bis Kriegsende 1945 eingrenzen. Die kriegsgefangenen Zwangsarbeiter haben uns viele kleine Hinweise hinterlassen. Diese finden sich überwiegend in den Betonfugen der Stelen und Betonsteine. Wir konnten verschiedene Namen, Daten und weitere Hinweise finden. Es wurden sogar Reichspfennige in den frischen Beton gedrückt. So fanden wir je eine Münze: 1 Reichspfennig und 5 Reichspfennig.

Das älteste Datum, welches in den weichen Beton geschrieben wurde, ist der 25. August 1944 und findet sich etwa in der Mitte des östlichen Zugangstollens. Das jüngste Datum fanden wir im Putz des Zugangsbauwerks und datiert den 21. März 1945. Dahinter die Inschrift COSIR.IMI. Die Vermutung ist, dass dies ein italienischer Name oder Spitzname ist, wie Cosimo oder Cosi. Dies würde gut zu der Tatsache passen, dass hier italienische Kriegsgefangene im Stollenbau eingesetzt wurden. Die Buchstaben IMI könnten für italienische Militärinternierte („Internati Militari Italiani“) stehen – italienische Soldaten, die nach dem Waffenstillstand von 1943 von den Deutschen gefangen genommen wurden.

Natürlich lässt sich dies nicht abschließend belegen, wäre aber eine zu den derzeitigen Erkenntnissen passende Erklärung.

Einbauten

Oft haben wir uns gefragt, warum hauptsächlich auf der Sohle des 135 Meter langen Zugangstollens diverse Ziegelsteine verteilt liegen. Es stellte sich heraus, dass weite Teile des Stollens gepflastert waren. Nach dem Krieg haben sicherlich Anwohner die noch brauchbaren Ziegelsteine entnommen. Zurück blieben die gebrochenen Steine.

Am Boden finden sich außerdem diverse Lampenteile und Kabelhalterungen aus Porzellan. In der ersten Quergalerie hat man die Stelle markiert, an welcher eine Lampe montiert werden sollte. Leitungen finden sich im Stollen keine mehr und alle Porzellanhalter erwecken den Eindruck, als wären die Leitungen nur hastig herausgerissen worden.

[Reste der Elektroinstallation]
[Reste des Ziegelbodens]

Beschriftungen

An den Wänden wurden nur wenige offizielle Beschriftungen angebracht, die eher auf einen provisorischen Betrieb hinweisen. Unter anderem ein Wegweiser mit der Aufschrift Hirth AG | Zu Sümak und Platz freihalten.

In der Quergalerie finden sich mit weißer Farbe angepinselte Einteilungen nach Landeszugehörigkeit. Sie machen einen provisorischen und schnell angebrachten Eindruck. Tatsächlich legten diese fest, von wo bis wo sich niederländische, französische, belgische und italienische Zwangsarbeiter im Stollen aufhalten durften. Oftmals hatten die so eingeteilten Gruppen einen sogenannten Kapo (Funktionshäftling), der Deutschkenntnisse besaß und die Landessprache beherrschte. Dieser übermittelte Arbeitsaufträge, leitete die Häftlinge an und überwachte die Arbeiten.

[Abgrenzung Aufenthaltsbereich Holländer und Franzosen]
[Abgrenzung Aufenthaltsbereich Belgier und Italiener]

Inschriften der Kriegsgefangenen

Im Stichstollen des Zugangs 1, aber auch in der ersten Quergalerie haben wir diverse Hinterlassenschaften der Kriegsgefangenen gefunden. Es finden sich an den Wänden die verschiedensten Inschriften, welche teils während des Baus in den frischen Beton geschrieben wurden. Es ließen sich auch Reichspfennige finden, welche die Kriegsgefangenen in den frischen Beton drückten.

Diese Beschriftung, bestehend aus Initialen und Datum (DW 25/8/44), fand sich im Stichstollen des Zugangs 1 bei 43,20 Meter hinter dem ehemaligen Eingang. 

Bouville Marcel ist ein französischer Name, darunter das Datum 26.8.44. Auch diese Inschrift befindet sich bei 43,20 Meter. Ab 1942 wurden viele französische Arbeiter zwangsverpflichtet bzw. als Kriegsgefangene nach Deutschland gebracht.

Bei 61 Meter hinter dem Eingang findet sich der Name Bissi Giuseppe, gefolgt von einem Noto 1910|16AV. Dazu konnte ich leider nichts finden und so bleibt die Bedeutung vorerst unbekannt.

Dieses Bild zeigt wahrscheinlich den seltenen belgischen Namen „Croibien“ und das Datum 6-9-1944. Der Nachname Croibien ist laut einem Nachnamen-Datenbankeintrag vor allem in Belgien nachweisbar. Gefunden bei 62,40 Meter im Stichstollen des Zugangs 1 am rechten Stoß. Bild: Hansi Brand

Hier fehlt leider ein Stück im Namen und der zweite Teil ist stark versintert. Vermutlich stehen hier der Name Denis und das Datum 6-9-44 am linken Stoß bei 63,50 Meter hinter Zugang 1.

Am rechten Stoß und bei 66,30 Meter ist das Datum 1944 geschrieben und mit einem Rahmen eingefasst.

Bei 66,40 Metern sind das Wort Roma und die Übkürzung DBG|1|3 in den Beton geschrieben. Bei Roma ist das italienische Wort für Rom naheliegend, die Hauptstadt Italiens. Für den Rest fand sich bisher keine Bedeutung.

Die letzten wirklich interessanten Stücke im Stichstollen des Zugangs 1, fanden sich im Beton am linken Stoß bei 87 und 100,60 Meter. Hierbei handelt es sich um jeweils eine Münze, die in den frischen Beton gedrückt wurden. Einmal 1 Reichspfennig und eine weitere 5-Reichspfennig Münze.

Izzo ist ein in Süditalien recht verbreiteter Familienname, besonders im Raum Kampanien. Raffaele ist ebenfalls ein sehr gebräuchlicher Vorname in Italien. Bild: Hansi Brand

Die in den frischen Beton eingeritzten Hinterlassenschaften und Nachrichten der Kriegsgefangenen, erinnern an diese und bezeugen, dass sie dort waren und für das faschistische Regime Zwangsarbeit verrichten mussten. Die Inschriften geben aber ebenso Aufschluss über den Stollenvortrieb und den Ausbau. Bei 43,20 Metern hinter dem Zugangsbauwerk entstand am 25.08.1944 die Inschrift mit dem Kürzel DW, welches sicherlich für einen Namen steht. Die nächste findet sich bei 62,40 Meter und trägt das Datum 05.09.1944. Dies würde einen Stollenvortrieb und/oder Ausbau von 19,20 Metern in 12 Tagen bedeuten.

Inwieweit Stollenvortrieb und Ausbau einhergingen, lässt sich heute leider nicht mehr rekonstruieren. Daher kann ebenfalls nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob in diesen 12 Tagen nur Ausbau oder auch Vortrieb gemacht wurde. Der kleinste Abstand von Inschriften mit Datum (06.09.1944) beträgt 1,10 Meter, was mir allein für den reinen Ausbau stellen doch recht wenig vorkommt.

Gravur eines italienischen Militärinternierten

Am 21. März 1945, wenige Wochen vor Kriegsende, ritzte wahrscheinlich ein italienischer Militärinternierter diese Inschrift in die Wand des Stollens:

21·3·45 | COSTR. IMI

  • Datum: 21. März 1945

  • COSTR.: Abkürzung für costruttore = „Erbauer“

  • IMI: Italian Military Internee – Italienischer Militärinternierter

Nach dem Waffenstillstand Italiens 1943 gerieten etwa 600.000 italienische Soldaten in deutsche Gefangenschaft. Sie wurden nicht als Kriegsgefangene, sondern als „Militärinternierte“ (IMI) eingestuft und mussten Zwangsarbeit leisten – auch beim Bau von Luftschutzanlagen.

Die Gravur ist ein stilles Zeugnis dieser Zeit. Der unbekannte Verfasser wollte damit sichtbar hinterlassen, dass er – gezwungenermaßen – an der Entstehung dieses Stollens beteiligt war.

Schlusswort

Dieser Werkluftschutzstollen gab im Laufe der Zeit doch mehr Details preis, als anfänglich ersichtlich waren. Dies zeigt, dass ein genaueres Hinschauen und Dokumentieren unerlässlich ist. Es konnten der jetzige Zustand dokumentiert werden und einige Rückschlüsse auf vergangene Epochen gezogen werden.

Album “Werkluftschutzstollen Atemlos Stuttgart” erstellt am 04.09.2016, Bilder von Trümmer Lümmler und Hansi
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Brigitte58
Brigitte58
1 Jahr zuvor

Tolle Fotos René!!! Klasse eingefangen.

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Trümmer Lümmler

Ich freue mich, dass du hierher gefunden hast. Mein Name ist René und ich bezeichne mich als Altbergbau-Enthusiast. Diese Seite betreibe ich bereits seit Mai 2013 und als Grundlage dafür dient mir das Content-Management-System von Joomla Projekt.

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