Der Deckungsgraben der Weberei Ulrich Gminder in Rommelsbach bei Reutlingen.

Der Deckungsgraben und die Weberei

Gut erhaltene Deckungsgräben, die sich heute noch weitestgehend im Originalzustand befinden, sind rar geworden. Dies ist sicherlich der Tatsache geschuldet, dass diese Bauwerke verhältnismäßig einfach gebaut wurden. Doch klären wir vorab, was Deckungsgräben sind.

Inhaltsverzeichnis

Was sind Deckungsgräben?

Deckungsgräben sind, wie der Name schon sagt, in den Boden gegrabene Gräben, die entweder von Hand oder mit einfachen Maschinen ausgehoben wurden. Die meist im Zickzack angeordneten Gräben wurden zum Beispiel mit Beton ausgeschalt oder mit Holz ausgebaut und anschließend mit Erde bedeckt. Die aufgebrachte Erdschicht betrug 1–2 Meter. Oftmals war der Verlauf des Deckungsgrabens anhand der zickzackförmigen Erdhügel im Gelände erkennbar. In bewaldeten Gebieten stellte dies allerdings kein großes Problem dar.

Deckungsgräben verfügten in der Regel über mindestens zwei Zugänge und, wenn möglich, über einen zusätzlichen Notausstieg. Sie boten kurzfristigen Schutz vor Splittern und Trümmern, Druckwellen und Brandbomben während eines Luftangriffs, waren aber nicht bombensicher. Deckungsgräben besaßen keine umfangreichen technischen Einrichtungen wie aktive Lüftungsanlagen. In seltenen Fällen gab es Rohrleitungen oder Schächte für eine eher primitive Frischluftzufuhr.

Der Deckungsgraben und die Weberei

Bereits 1814 gründete Jacob Ulrich Gminder die Spinnerei und mechanische Weberei in Reutlingen. Nach seinem Tod im Jahr 1832 übernahmen seine Söhne die Firma und bauten sie weiter aus. Von da an expandierte das Familienunternehmen immer weiter; es entstand die größte und modernste Textilfabrik in Württemberg. Das Unternehmen blieb über Generationen im Familienbesitz der Gminders. Im Jahr 1903 entstand die Arbeitersiedlung Gmindersdorf, eine der schönsten Arbeitersiedlungen, welche noch heute erhalten ist. Zum 100-jährigen Bestehen der Firma erhielt Gmindersdorf einen Kinderhort mit Säuglingsheim und Kinderschule, dem eine Turn- und Festhalle angegliedert ist. Emil Gminder, der Urenkel von Ulrich Gminder, wurde 1904 einer der Geschäftsführer und ließ 1927 in Rommelsbach die vierte Weberei bauen.

Während des Zweiten Weltkriegs wurden Teile von Bosch und der Kugellagerfabrik Norma in die Fabrikgebäude von Gminder ausgelagert, unter anderem auch nach Rommelsbach. In der Betriebsstätte Rommelsbach stellte man nun mit Hilfe von zusätzlichen Zwangsarbeitern kriegswichtige Güter her. Dies erforderte ebenfalls ausreichend Schutzplätze für die Mitarbeiter der Betriebsstätte. Im Umfeld entstanden verschiedene Deckungsgräben. Heute ist nur noch einer bekannt, welcher erhalten geblieben ist.

Der Deckungsgraben im Detail

Etwa 500 Meter oder 8 Minuten Fußweg vom Betriebsgelände der Rommelsbacher Weberei auf der Parzelle Nummer 916 auf Oferdinger Gemarkung befindet sich der letzte erhaltene Deckungsgraben der Betriebsstätte Rommelsbach. Auf einer Fläche von 140 × 190 Metern liegt der mehrfach abgewinkelte Deckungsgraben. Nach dem Zweiten Weltkrieg zog man in Erwägung, diesen zu sprengen; dies war aber nicht möglich, da nur unweit eine wichtige Straßenbahnlinie verlief.

 

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Die Straßenbahnverbindung führte von Altenburg über Oferdingen und Rommelsbach nach Reutlingen und war ein wichtiges Verkehrsmittel zur Erschließung des nördlichen Umlands, dem sogenannten Nordraum der Stadt Reutlingen. Insbesondere konnte aus damaliger Sicht die weitere Versorgung der Industrie mit Arbeitskräften nur noch aus diesem Gebiet erfolgen. Dies galt neben den Gminder-Spinnereien und Webereien vor allem für die Spinnereihülsen- und Spulenfabrik Emil Adolff GmbH & Co., damals der größte Arbeitgeber der Stadt.

Das folgende Luftbild zeigt den Deckungsgraben im laublosen Winterwald im Jahr 1968. Links neben der Straße ist ebenfalls das Gleisbett der Straßenbahn erkennbar. Im unteren Bildbereich befindet sich die Weberei Ulrich Gminder auf Rommelsbacher Gemarkung.

Luftbild des Deckungsgrabens der Weberei Ulrich Gminder in Rommelsbach.
Luftbild aus dem Jahr 1968 des Deckungsgrabens auf der Genarkung Oferdingen der Weberei Ulrich Gminder, Betriebsstätte Rommelsbach (Quelle: leo-bw.de).

Die Form des Deckungsgrabens ist bei diesem Luftbild deutlich erkennbar, was der zuvor erwähnten Erdüberdeckung geschuldet ist. Die Erdüberdeckung beträgt 120 Zentimeter, dazu kommt eine Wand- und Deckenstärke von 30 Zentimetern Stampfbeton. Der Deckungsgraben hat eine Gesamtlänge von 83,60 Metern und einen umbauten Raum von 160 Kubikmetern. Im Inneren fanden 100 schutzsuchende Personen Platz. Über zwei Zugänge war ein schnelles und reibungsloses Befüllen des Schutzraums möglich. Für den Notfall existierte ein kleiner Notausstieg, welcher sicherlich ebenso als Lüftungsschacht genutzt wurde.

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Die derzeitige Nutzung kommt dem Fledermausschutz zugute. Das Wäldchen ist stark zugewachsen, und große Bäume wachsen an und auf dem Deckungsgraben, was zusätzlichen Druck auf das Bauwerk ausübt. Ansonsten ist das Bauwerk weitestgehend sich selbst überlassen.

Fazit

Der Deckungsgraben von Rommelsbach stellt ein seltenes bauliches Relikt aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs dar. Als Teil der industriellen Infrastruktur diente er einst dem Schutz der Belegschaft und ist heute ein stilles Zeugnis der regionalen Geschichte. Trotz seines Verfalls und der Überwucherung durch die Natur bewahrt er einen wichtigen Erinnerungswert, sowohl als technisches Bauwerk als auch als Mahnmal vergangener Zeiten.

Album „Der Deckungsgraben und die Weberei” erstellt am 25.10.2025 von Trümmer Lümmler
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Trümmer Lümmler

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